Mann, ich habe Durst!

Über die Kunst die Dinge "Schritt für Schritt" anzugehen

Wasserglas (1 von 1)

Glas halbvoll oder halbleer?

Es ist wieder einer dieser Tage, an denen die To-Do Liste nur noch länger wird, obwohl man doch nichts anderes macht, als Haken zu setzen. Gerade eben bin ich kurz davor einen Weiteren hinter einen Punkt zu packen. Ich sitze gerade im Wartezimmer einer Werkstatt, um einen winzigen, kaum sichtbaren Steinschlag zu richten. Auf die Frage der Sekretärin, ob ich vielleicht etwas trinken möchte, erinnert sich mein Mundinnenraum wieder, dass ja eigentlich bis zu 3 l am Tag hier durch sollten. Müsste ich vielleicht mal auf die To-Do-Liste packen... „Sehr gerne Gerne Stilles!“, antworte ich und bekomme ein kleines Glas hingestellt – halb voll. Wow. Das Ziel sind 3 l und ich bekomme ein halb leeres Glas.


Dieses Beispiel hat sicher schon jeder 100erte Male gehört und kann es vielleicht auch schon nicht mehr hören. Aber ich habe das Gefühl, dass Viele die Essenz dieses Beispiels nicht wirklich verstehen und deshalb auch nicht anwenden können.


Ich bin nach meinem Surfunfall 2019 mit meiner Halswirbelfraktur in das BGU Murnau gekommen und war dort so dankbar um jede Funktion, die ich bis dahin wieder hatte. Ich konnte meinen Kopf, die Schultern, meine Oberarme fast komplett und meine Finger nur leicht bewegen – mega! Dieser komplette Unfall hätte auch ganz anders aussehen können und ich auch. Deshalb war ich ehrlich dankbar für jede kleine Minifunktion und hätte für jede Weitere ne Party geschmissen.


Manch anderer Patient hatte manifestiert, dass er oder sie das Krankenhaus laufend verlassen wird. Und gegen diese Art der Motivation ist nichts einzuwenden. Aber Menschen werden dann einfach „blind“. Sie sehen bei dem Versuch, das ewig weit entfernte Ziel zu erreichen, die kleinen Schritte nicht mehr. Deshalb waren sie häufig geknickt, weil sie fürs Laufen leider doch noch eine Krücke verwenden mussten.
Am Ende unserer beider Aufenthalte habe ich mehr Partys gefeiert, als mein Kollege, obwohl er wesentlich mehr Gründe dazu hatte. Mein Glas war einfach schon immer halb voll und jeder weitere Tropfen stillt den Durst etwas mehr. Anders beim Nachbarn: Er hat nur das halb leere Glas gesehen und sich gefragt, wie das jemals reichen soll – und hat nichts davon angerührt. Die Sicht auf die Dinge hat einen großen Einfluss darauf, wie wir mit ihnen umgehen.


Deswegen habe ich in unserer "InklusivUns" Podcastfolge #38 meine Idee der „Moritz Mindset Metapher“ vorgestellt. In komplizierten Situationen, in denen man einfach gerade nicht mehr weiterweiß, sollte man mal die Perspektive wechseln und versuchen, die Problematik in eine Metapher bildlich zu übersetzen. So, dass man es sogar einem Kind erklären könnte.


So kommt man vielleicht auf Ansätze oder Lösungsmöglichkeiten, die einem im Dschungel der Realität einfach verborgen waren.


Andersrum kann es in Konflikten und Auseinandersetzungen auch mal sehr hilfreich sein, die Perspektive des/der anderen einzunehmen. Hätte man selbst in der Situation auch so gehandelt?
Und so sitze ich sinnierend im Wartebereich der Werkstatt und freue mich jetzt schon, gleich einen Punkt abhaken zu können. Einen Punkt, der mich wieder einen Schritt weiterbringt. Oder
vielleicht auch nur ein Punkt, der bei einer gesprungenen Windschutzscheibe Schlimmeres verhindert hat.
Darauf stoße ich an. Und was eignet sich da besser, als mein halbvolles 200 ml Glas!


Cheers!